Sonntag, 14. Oktober 2012

Ja Ra'is!

Das irgendetwas komisch war, fiel uns zuerst am Mittwochabend auf, als die Ägypter plötzlich begannen den Fußweg vor der Kaserne zu erneuern. Sie fingen nach Sonnenuntergang an, die Preßlufthämmer lärmten die ganze Nacht und innerhalb von 24 Stunden war alles fertig!!! Zudem wurden die Panzer in der Kaserne geputzt und der Eingangsbereich erhielt frische Farbmarkierungen. Die Beleuchtung unserer Straße wurde repariert, die Palmen beschnitten und statt das Grünzeug wie üblich herumliegen zu lassen, wurde es sofort (!!!) weggeräumt. Am Donnerstag wurde die Straße auch noch gereinigt, die alten Mülltonnen weggeräumt und gegen nagelneue ausgetauscht. Ein Großaufgebot von Verkehrspolizei ließ alle parkenden Autos abschleppen, Absperrgitter wurden von LKW's abgeladen und die nagelneuen Mülltonnen direkt wieder geleert. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war klar, daß wir wohl hohen Besuch erwarteten. Die Katzen brachten ihr Mißfallen über die Hektik in ihrem Revier und das neue Müllregime lautstark zum Ausdruck, aber nachdem die Straße innerhalb eines Tages zum zweiten Mal gekehrt und gewässert sowie die Mülltonnen ein paar Stunden später schon wieder (!!!) geleert wurden, trollten sie sich einfach in die Nebengassen. Der Springbrunnen vorm Krankenhaus schäumte, da er durch Beigabe von Spülmittel geputzt wurde. Nach dem Aufstellen der Absperrgittern wurde auf der Straße ein Festzelt errichtet sowie Teppiche vor die verbliebenen Müllberge gehängt. Die Armee baute unterdessen die etwas angegammelten Zelte auf dem Kasernenhof komplett ab und fegte diesen.
Des Rätsels Lösung klingelte am späten Donnerstagnachmittag an der Wohnungstür, und zwar in Gestalt des Geheimdienstes, der vom Portier unseres Hauses begleitet wurde und Namen sowie Nationalität der hier lebenden Aganibs (Ausländer) aufnahm. Er erklärte uns, daß morgen zum freitäglichen Hauptgebet der Ra'is in die Moschee vor unserem Haus kommen würde. Auf unsere ungläubige Rückfrage bestätigte er, daß tatsächlich der leibhaftige Ra'is (Präsident) Ägyptens vor unserer Haustür auftauchen würde: Herr Mohammed Mursi.


Am nächsten Morgen gegen elf Uhr war dann das ganze Viertel im Ausnahmezustand. Keine Katzen weit und breit, kein Autoverkehr, Metalldetektoren an den Zugängen zur Moschee, Scharfschützen auf den Dächern, ein Großaufgebot von Polizeikräften unterschiedlicher Farbmarkierungen (schwarz, weiß, blau, rot und grün) sowie beachtliche Menschenmengen vor den Absperrungen. Wir saßen auf dem Logenplatz unseres Balkons, tranken Kaffee und beäugten uns gegenseitig mit den Sicherheitskräften auf den umliegenden Dächern. Unsere Nachbarn taten ja das gleiche.




Gegen halb zwölf fuhr eine Kolonne schwarzer deutsche Limousinen vor und fünf Minuten vor Beginn des Gebets traf schließlich ein Militärhubschrauber auf dem Vorplatz des Krankenhauses ein. Die Spannung stieg deutlich, der Scharfschütze auf dem Minarett gegenüber hatte das Gewehr im Anschlag und eine weitere Kolonne schwarzer Limousinen chauffierte den Präsidenten und seine Entourage den 200 Meter langen Weg vom Krankenhaus zum Eingang der Moschee. Nach zwei Minuten war der Präsident in der Moschee und draußen erstmal alles vorbei. Allerdings konnten wir das Gebet in unserer lokalen Masgid (Moschee) live im ersten Kanal des Staatsfernsehens verfolgen.











Die Reaktionen der Bevölkerung waren gemischt. Es gab deutliche Beifallsbekundungen, aber auch kritische Töne wie etwa "Horeya AlAhn" (Freiheit jetzt) Sprechchöre. Andere diskutierten lautstark und wütend mit den Ketten der Riot Police ("wie bei Mubarak..."). Allerdings weist die Tatsache, daß sie dies leidenschaftlich und ausgiebig tun konnten ohne von der Polizei weiter behelligt zu werden, auf deutliche Unterschiede zur Mubarak-Ära hin. Zumindest in Berlin gäbe es für so ein Benehmen auf die Fresse, eine Nacht Gesa und hinterher ein mistiges Verfahren wegen Aufsässigkeit gegenüber der Staatsgewalt. Es halt halt auch Vorteile, ab und zu mal die Polizeiwachen des Landes abzufackeln, zumindest respektiert die Polizei die politischen Freiheitsrechte der Bevölkerung deutlich mehr als bei uns. Nach dem Gebet hielt Mursi eine recht lange Rede vor seinem Fanblock und wurde schließlich wieder zum Hubschrauber eskortiert.






Anschließend begann unter den Sicherheitskräften - die während der Veranstaltung mit kistenweise Brot verpflegt wurden - der allgemeine Abbau und Aufbruch. Die säkularen Demonstranten (einige sogar mit Hammer & Sichel - Fahnen, also nicht unbedingt nur solche, welche man sich so gemeinhin unter "liberaler" Opposition vorstellt) und die eher religiös orientierten lieferten sich etwa eine Stunde nach Mursis Abflug auf der Kreuzung vor unserem Haus ein zünftiges Handgemenge. Nachdem jedoch die mitgebrachten Aluminiumstangen von den besonneren Teilnehmern der Demo entsorgt wurden (einfach über die Mauer des Armeekrankenhauses geworfen), nahm der Konflikt eher den Charakter einer bunten, chaotischen Massendiskussion an. Einige fanden auch Gefallen daran, ausgiebig auf großen mitgerachten Mursibildern herumzutrampeln. Die das Ganze begleitenden Wagen der Tee- und Kaffeeverkäufer ließen sich von der Aufregung jedoch keineswegs irritieren. Der letzte Akt des Schauspiels fand nach Sonnenuntergang statt. Einige hundert jugendliche Fussballanhänger zogen die Straße hinauf, brüllten kurz die Moschee an und skandierten im Rahmen einer Abschlußkundgebung vor der Kaserne armee- und staatskritische Losungen. In Kairo und einigen anderen Städten war unterdessen etwas mehr los, aber Alexandria hat bis auf ein paar Ausnahmen halt eine grundentspannte Atmosphäre.









PS: Ja Ra'is! ist arabisch für Aló Presidente!

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